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Alltag mit DIS – Wie fühlt es sich an mehrere zu sein?

Alltag mit DIS: Ein Körper, mehrere Menschen. Klingt erstmal nach Science-Fiction oder einem verdammt schiefgelaufenen Selbstfindungstrip, oder? Für uns ist es Alltag. Wie fühlt es sich an, mehrere zu sein (DIS)? Wir teilen unsere ehrlichen Erfahrungen über Kommunikation, Alltag & Erleben.
Welche Herausforderungen gibt es? Das sind berechtigte Fragen, denn wir stellen uns auch die Frage, wie es sich wohl anfühlt alleine zu sein. Warum ist das Viele-Sein nicht nur Chaos, sondern manchmal auch ein echtes Geschenk? Hier kommt unsere ehrliche Antwort.

Alltag mit DIS – Der Moment der Erkenntnis

Am Anfang steht oft ein Gefühl: Irgendetwas passt nicht. Erinnerungen verschwimmen, Zeitlücken entstehen, Dinge sind plötzlich anders, als man sie verlassen hat. Aber natürlich hatten wir alle für uns selber immer sehr gute Erklärungen und eine Frage kam uns nie in den Sinn: Bin ich wirklich nur eine Person?

Die Erkenntnis, dass wir mehrere sind, war nicht wie ein sanftes Erwachen. Es war ein Schock. Ein Gefühl von „Oh. Scheiße. Das erklärt so viel.“ Und gleichzeitig eine riesige Unsicherheit: Wer sind wir? Wie viele sind wir? Was bedeutet das für unser Leben?

Und direkt mal zu Beginn klargestellt: Nicht alle im System sind der Meinung, dass sie mit mehreren in einem Körper leben. Manche wollen es nicht akzeptieren und manche sind einfach der Meinung „Ja, da sind noch andere, aber ICH bin eigentlich die einzig wahre Person!“ 😁

Was die meisten Menschen missverstehen

DIS und ‚mehrere-sein‘ ist nicht das, was Hollywood draus macht. Nein, es ist kein „Plötzlich-Monster-Modus“, kein Psychothriller und auch keine Superkraft. Aber es ist auch nicht nur Leid und Trauma. Für uns haben wir immer einen Film im Kopf, den wir selber gesehen haben: Split!
Wir finden den Film selber sehr gut gemacht und haben ihn auch gerne geguckt, was uns aber immer wichtig ist zu erklären: Der Film basiert zwar auf einer wahren Geschichte, allerdings darf nie vergessen werden, dass der Film natürlich mit stilistischen Mitteln bearbeitet ist, damit die Menschen ihn als spannend empfinden und ihn unbedingt sehen wollen.

Aber nicht nur im Bereich der Medien gibt es Dinge, die zu Missverständnissen führen, sondern auch die Unaufgeklärtheit über diese Art von Identitätsstruktur liegt dem häufig zu Grunde. Und genau deswegen sind wir für ehrliche Einblicke aus dem Alltag mit DIS, um aufzuklären, zu vermitteln und Unsicherheiten zu beseitigen!

Häufige Missverständnisse:

  • „Aber du wirkst doch ganz normal?!“ – Ja, weil wir gelernt haben, es nicht zu zeigen.
  • „Kannst du absichtlich wechseln?“ – Nicht wirklich. Manche können es besser steuern als andere, aber oft passiert es unbewusst.
  • „Reden deine Innies miteinander?“ – Ja, aber nicht immer. Manche kennen sich, manche nicht.

„Meine Aufgabe war es schon immer alle im System so zu überwachen und kontrollieren, dass nach außen überhaupt nicht auffällt, dass sie eigentlich nicht mit einer Person sprechen, sondern mit mehreren! Das ist nicht immer leicht, aber alle sind sehr gut darin geschult sind normal zu wirken!“


„al so manhcma wert ihc ein fah nahc forne geshmisen unt dan kuke ihc das ihc nihc wie ein kint bin al so kuke ihc ein fah ein bisjen ensta unt nike wen andre redn unt wen ihc selba red mahc ihc mein schtime ein fah ein bisjen tifa unt dan felt das nihc auf“


„Das lustige is ja eigentlich, das die mit denen wir reden eh nie wissen, das eigentlich mehrere zuhören!“

Der Alltag mit DIS

Manchmal ist es, als würde man mit einer Gruppe von Menschen in einer WG wohnen. Nur eben im gleichen Körper. Das bedeutet, wie auch im Zusammenleben:

  • Unterschiedliche Meinungen – Was die eine Person liebt, findet eine andere schrecklich.
  • Verschiedene Altersstufen – Ein Mini kann plötzlich übernehmen, und auf einmal ist Mickey Mouse faszinierender als Haushalt oder Post bearbeiten.
  • Verschiedene Talente und Stärken – Manche von uns sind kreativ, andere analytisch und organisiert, wieder andere absolute Chaoten.

Die Herausforderung? Ganz klar die Koordination. Wer übernimmt wann? Was tun, wenn jemand in einer Situation auftaucht, die nicht passt? Und wie gehen wir mit unterschiedlichen Bedürfnissen um?

Unsere Strategie zur Koordination ist nicht perfekt, aber wir haben Wege gefunden, um den Alltag ein Stück weit zu strukturieren. Ein wichtiger Punkt ist innere Kommunikation – wir versuchen, regelmäßig Check-ins zu machen, bei denen wir uns bewusst fragen: Wer ist gerade präsent? Wie geht es uns? Gibt es dringende Anliegen? Diese Momente helfen, Klarheit zu schaffen und Konflikte vorzubeugen.

Ein weiteres Tool ist unser System-Tagebuch. Darin notieren wir Wechsel, Gedanken oder wichtige Dinge, die andere Innies wissen sollten. Es hilft uns, nicht den Überblick zu verlieren und Informationen zu sammeln, wenn eine von uns nicht auf alles Zugriff hat. Wir glauben mittlerweile, dass wir ohne dieses Tagebuch unseren Alltag mit DIS gar nicht mehr koordinieren könnten.

Zusätzlich versuchen wir, Rollen und Zuständigkeiten ein Stück weit festzulegen. Manche Innies sind besser in sozialen Situationen, andere kümmern sich um organisatorische Dinge. Natürlich läuft das nicht immer nach Plan – manchmal übernimmt jemand, der sich der Situation gar nicht gewachsen fühlt. Aber genau dann ist es wichtig, aufeinander zu achten und Unterstützung zu bieten.

Es bleibt eine Herausforderung, aber mit Geduld, Struktur und gegenseitigem Verständnis machen wir das Beste daraus.

Innere Kommunikation – Stimmen im Kopf?

Ja, wir haben innere Stimmen. Nein, das ist nicht wie in einem Horrorfilm. Unsere Innies kommunizieren auf verschiedene Arten miteinander, manchmal ist es direkt und manchmal eher indirekt. Indirekt zeigt sich dies vor allem bei:

  • Gedanken, die nicht „nach uns“ klingen.
  • Emotionen, die scheinbar aus dem Nichts auftauchen.
  • Bilder, Erinnerungen oder plötzliches Wissen, das vorher nicht da war.
  • Körperempfindungen, die nicht zu unserem aktuellen Zustand passen.
  • Plötzliche Vorlieben oder Abneigungen, die scheinbar grundlos auftauchen.
  • Veränderung in Handschrift, Ausdrucksweise oder Interessen

Aber auch direkte Kommunikation findet in der Innenwelt statt. Wie kannst du dir das vorstellen?

  • Manche Innies können sich in der Innenwelt begegnen (nicht alle)
  • Sie können dort miteinander kommunizieren, gemeinsame malen, lachen, tanzen (okay kochen geht nicht 😁)
  • Manche können gar nicht in die Innenwelt – Wenn sie nicht vorne im Körper sind, sind sie in einem bewusstseinslosen Zustand
  • Auch die, die in der Innenwelt gemeinsam Zeit verbringen, beschreiben diese aus ihrer eigenen Wahrnehmung (und somit auch komplett unterschiedlich)

Die Kommunikation kann chaotisch sein, aber auch wunderschön. Denn wir sind nicht allein – wir sind ein Team.

In stressigen oder emotional geladenen Situationen kann es vorkommen, dass wir mehrere Stimmen auf einmal wahrnehmen oder widersprüchliche Gefühle erleben. Das kann überfordernd sein, aber mit der Zeit haben wir Wege gefunden (und werden diese immer weiter finden), um mit dieser Vielstimmigkeit umzugehen. Manche von uns können direkt miteinander sprechen, andere kommunizieren über Gefühle oder innere Bilder. So ist ein Alltag mit DIS.

Eine Herausforderung ist, dass nicht alle Innies zu jeder Zeit bewusst präsent sind oder miteinander kommunizieren können. Manche sind eher im Hintergrund aktiv, andere nehmen öfter teil am Alltag. In stressigen Momenten kann es sein, dass wir uns wie „blockiert“ fühlen, weil zu viele Eindrücke auf einmal kommen oder weil derjenige, der gerade „vorne“ ist, sich nicht sicher fühlt, wie er damit umgehen soll.

Letztendlich ist innere Kommunikation eine Fähigkeit, die wir immer weiter ausbauen. Je besser wir uns untereinander kennenlernen, desto leichter fällt es uns, im Alltag miteinander zu interagieren und für gegenseitiges Verständnis zu sorgen.

Äußere Kommunikation – Das System-Tagebuch

Innere Kommunikation ist das eine – aber wie sieht es mit der äußeren Kommunikation aus? Gerade wenn nicht alle Innies direkten Zugang zu denselben Erinnerungen haben, kann es hilfreich sein, ein System-Tagebuch zu führen.

Unser System-Tagebuch ist eine Art gemeinsames Notizbuch, in dem wir Wechsel, Gedanken und Erlebnisse festhalten. Es hilft uns, den Überblick zu behalten und einander besser zu verstehen. Einige wichtige Aspekte unseres System-Tagebuchs:

  • Tägliche Einträge: Wer war heute präsent? Gab es besondere Ereignisse oder Emotionen?
  • Offene Fragen: Gibt es Dinge, die ein Innie dem System mitteilen möchte?
  • Wichtige Termine & Aufgaben: Damit nicht eine von uns plötzlich mit einer Überraschung konfrontiert wird.
  • Erinnerungen & Erkenntnisse: Manchmal tauchen alte Erinnerungen oder neue Einsichten auf, die für das ganze System relevant sind.

Das Führen eines System-Tagebuchs kann besonders dann hilfreich sein, wenn Amnesien auftreten oder der Alltag chaotisch wird. Es gibt uns eine Struktur und ermöglicht es uns, bewusster mit dem Leben als System umzugehen. Außerdem kann es eine Möglichkeit sein, Gefühle zu verarbeiten und ein besseres Verständnis füreinander zu entwickeln.

Natürlich nutzt nicht jedes System ein Tagebuch auf dieselbe Weise – manche schreiben lieber Briefe aneinander, andere nutzen digitale Notizen oder Sprachnachrichten. Wichtig ist, dass es eine Methode gibt, um Informationen zu teilen und das Miteinander zu erleichtern. Und manchmal finden sich auch einfach nur aufmunternde Worte im Tagebuch.

Alltag mit DIS - Tagebuch
Screenshots aus unserem System-Tagebuch, die aufmunternd sind und/oder Sicherheit geben, ohne Namen.

Was sagen wir zum Alltag mit DIS?

„Ich finde es manchmal ganz schön anstrengend, wenn so viele Gedanken durcheinandergehen. Aber ich mag es auch, weil wir uns gegenseitig helfen können.“

„Es is manchma schwer sich an alles zu erinnern aber das Tagebuch hilft mir.“

„Ich habe das Gefühl, dass ich ständig Zeit verliere. Wenn andere vorne sind, vergeht für mich alles wie im Schnelldurchlauf, und das macht mich traurig.“

„Ich hasse es, wenn ich einfach so aus dem Nichts vorne bin und keine Ahnung habe, was los ist. Aber es gibt auch
gute Tage.“

„ihc liep es das ihc nihc alein bin unt manhma redn wia üba den tak unt das gipt mia sihaheit unt ihc wuste gans lank nihc das andre nihc file sint.“

„Ich finde es unfair, dass ich oft warten muss, bis ich mal drankomme. Es fühlt sich an, als hätte ich kein eigenes Leben“

„Nit alain tol“

Unser Fazit – Ein Leben voller Facetten

Wie fühlt sich ein Alltag mit DIS an? Anders. Komplex. Herausfordernd. Manchmal schmerzhaft. Aber auch faszinierend, besonders und auf eine Weise, die schwer in Worte zu fassen ist. Jeder von uns erlebt den Alltag unterschiedlich, und genau das macht ihn so vielseitig. Es gibt Momente der Verwirrung, aber auch solche des tiefen Verständnisses füreinander. Wir lernen täglich dazu, wachsen an unseren Herausforderungen und entdecken immer neue Seiten an uns selbst. Letztendlich sind wir nicht nur ein System, sondern auch (zumindest zum größten Teil) eine Gemeinschaft – eine, die sich gegenseitig unterstützt und trotz aller Schwierigkeiten zusammenhält.

Wenn ihr Fragen habt oder mehr wissen wollt, lasst es uns wissen!

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6 Kommentare

  1. Vielen Dank für den Einblick in eure Welt. Der Gedanke, dass ihr eine Art WG seid, finde ich klasse. So kann ich es mir als jemand, der alleine in seinem Körper ist, besser vorstellen.

    Ich finde euren Artikel wirklich gut und verständlich geschrieben. Toll finde ich auch eure Zitate. Diese helfen mir, euch ein kleines bisschen besser zu verstehen.
    Auch, dass ihr einen Weg gefunden habt, mit eurem Tagebuch miteinander zu kommunizieren und so euren unterschiedlichen Welten oder Erlebnissen eine Struktur zu geben.

    Als alleiniger in meinem Körper gibt es nur ein Erleben. Es entscheidet nur einer und auch die Erinnerungen entsprechen diesem einen. Ich muss mir dafür Gesellschaft und andere Meinungen im Außen suchen. Aber ich führe durchaus Selbstgespräche (im Kopf) mit mir selbst. Nicht immer, aber in manchen Situationen schon.
    Vielleicht hilft euch das ein ganz klein wenig, dass ihr eine kleine Vorstellung vom „Alleinsein“ habt. 🙂

    Ich habe euren Artikel mit Begeisterung gelesen und werde sehr gerne auf eurer Seite stöbern, um euch ein bisschen mehr kennenzulernen.

    Liebe Grüße

  2. Hallo Ihr
    vielen Dank für den ersten Einblick. Sehr faszinierend und für mich noch nicht ganz zum Nachvollziehen. Ich werde aber ab sofort in meinen Beratungen aktiv darauf aufpassen, ob mir jemand was Ähnliches erzählt. Wie habt ihr Euch denn gefunden? Und was sagt Eure Umwelt dazu? Vor allem, was meinen die Ärzte? Die wollen Euch doch sicher Pillen geben. Hubs, ist zu frech gefragt? Ich kenne so verschiedene Anteile nur vom „Trauma“. Aber ich will keinen Stempel geben, sondern bin ehrlich daran interessiert, mehr zu erfahren. Danke, dass ihr Euch zeigt. Viele Grüße Andrea

    1. Liebe Andrea,

      danke für deine Fragen und dass du sie uns einfach stellst 😍 Manche Menschen haben immer das Gefühl, dass sie keine Fragen stellen können und genau das möchten wir auch gerne aufbrechen, denn natürlich kann man uns Fragen stellen und wir entscheiden dann wie und ob wir antworten wollen 🍀

      Wir haben das Gefühl wir mussten uns (zumindest vom Da-Sein) nicht finden, weil wir es gar nicht anders kennen. Allerdings war (und ist es auch manchmal immer noch) die Kommunikation untereinander und das „gemeinsam“ ein Prozess des Findens.

      Unsere Umwelt, das ist sehr unterschiedlich. Darüber schreiben wir gerne mal einen separaten Blogartikel 🙂 Danke für die Idee!

      Wir haben glücklicherweise ein echt super Netzwerk an Ärzten, Soziotherapie und ambulante Psychotherapie und können für uns sagen: Medikation ist kein Vorschlag von irgendwem, wenn es um die DIS geht 🍀

      Die DIS ist eine Traumafolgestörung, da hast du vollkommen recht!

      Liebe Grüße
      Nika

    1. Liebe Andrea,

      wir lieben deine Fragen 🙂

      Also nein, wir sind nicht alle weiblich, es gibt auch männliche Innies, die sich natürlich immer sehr darüber freuen in einem weiblichen Körper zu stecken… NICHT 😁