DIS-illusioniert – Mythen und Vorurteile aufgedeckt

Die dissoziative Identitätsstruktur (DIS) ist eines der am meisten missverstandenen Themen in der psychischen Gesundheit. In Medien und Popkultur wird sie oft auf sensationelle Weise dargestellt, was dazu führt, dass sich viele Mythen und Vorurteile hartnäckig halten. Die Darstellung in Filmen oder Serien zeigt meist extreme Fälle oder verzerrt die Realität, was dazu beiträgt, dass Fehlinformationen weiterverbreitet werden. Viele Menschen begegnen der DIS daher mit Skepsis oder Angst, anstatt mit Verständnis.

Tatsächlich handelt es sich bei der DIS um eine Überlebensstrategie, die oft als Reaktion auf schwere Traumata in der Kindheit entsteht. Sie ist kein Zeichen von Schwäche oder „Einbildung“, sondern eine komplexe Art, mit extremen Belastungen umzugehen. Trotzdem sind Betroffene immer wieder mit falschen Annahmen konfrontiert, die nicht nur verletzend sein können, sondern auch die gesellschaftliche Stigmatisierung verstärken.

Heute räumen wir mit einigen dieser Missverständnisse auf und bringen Licht ins Dunkel.
Wir DIS-illusionieren, also los geht’s!

Mythos 1: „DIS ist extrem selten“

Viele glauben, dass die dissoziative Identitätsstruktur kaum existiert. Tatsächlich zeigen neuere Studien, dass die Häufigkeit in der Allgemeinbevölkerung zwischen 5–8,5 % liegen könnte (Hier mehr dazu). Da frühere Studien oft mit kleineren Stichproben oder anderen Diagnosekriterien arbeiteten, gibt es Unterschiede zwischen den Ergebnissen. Früher sprachen Studien von ca. 1-3%. Diese Unterschiede können auf verschiedene Forschungsmethoden oder veränderte diagnostische Ansätze zurückzuführen sein.

Es ist wichtig zu beachten, dass die Diagnose von DIS aufgrund von Stigmatisierung und mangelndem Bewusstsein oft verzögert wird, was die genaue Erfassung der Häufigkeit erschweren kann. Viele Betroffene erhalten erst nach vielen Jahren die richtige Diagnose, da Symptome häufig fehlinterpretiert oder anderen psychischen Erkrankungen zugeordnet werden. Damit ist DIS keineswegs so selten, wie oft angenommen wird.

Mythos 2: „Das ist das Gleiche wie Schizophrenie“

Dieser Irrtum ist weit verbreitet. DIS und Schizophrenie sind zwei grundverschiedene Diagnosen. Während DIS durch dissoziative Zustände und das Erleben verschiedener Identitäten geprägt ist, handelt es sich bei Schizophrenie um eine Erkrankung mit Symptomen wie Halluzinationen und Wahnvorstellungen. Die beiden Begriffe werden häufig verwechselt, aber sie haben unterschiedliche Ursachen und Behandlungsansätze.

DIS Mythen: Unterschiede DIS & Schizophrenie
Hier ein Bild aus unserem FB Post (Hier geht’s direkt zum Beitrag)

Das Schlimme für uns ist, dass diese Unterschiede nicht nur in der Gesellschaft eine häufige Verwechslung darstellt, sondern auch bei Fachpersonen. Es gibt Hinweise darauf, dass die DIS und Schizophrenie aufgrund ähnlicher Symptome wie Stimmenhören oft verwechselt werden. Obwohl genaue Statistiken zur Häufigkeit von Fehldiagnosen fehlen, wird in der Fachliteratur betont, dass die Differenzialdiagnose zwischen DIS und Schizophrenie in der Praxis häufig übersehen wird.

Mythos 3: „Das ist Fake oder nur Aufmerksamkeitssuche“

Leider begegnen Betroffene immer wieder dieser Unterstellung. Die DIS entsteht als Bewältigungsmechanismus auf schwere, meist frühkindliche Traumata. Sie ist keine bewusste Entscheidung und hat nichts mit Simulation zu tun. Zahlreiche wissenschaftliche Studien belegen die neurologischen Unterschiede im Gehirn von Menschen mit DIS, was zeigt, dass es sich um eine reale psychische Struktur handelt.

Für Betroffene kann diese ständige Infragestellung ihrer Realität extrem belastend sein. Es führt nicht nur zu Selbstzweifeln, sondern verstärkt auch das Gefühl, nicht ernst genommen oder gar ausgeschlossen zu werden. Viele kämpfen mit Angst davor, ihre Diagnose offenzulegen, weil sie fürchten, als unglaubwürdig abgestempelt zu werden. Diese emotionale Belastung kann bestehende Symptome verstärken und den Zugang zu angemessener Unterstützung erschweren.

DIS Mythen: Das ist Fake
„ihc fint das nihc gut wen menhcen sagn das es das nih gipt weil dan sagn sie ja aohc das es mihc nihc gipt“
Zitat Persönlichkeitsanteil (6 Jahre)

Mythos 4: „Alle mit DIS sind gefährlich“

Hollywood liebt es, Menschen mit DIS als unberechenbare oder gar gewalttätige Charaktere darzustellen. Gracias Hollywood! Die Realität sieht jedoch anders aus: Menschen mit DIS sind in der Regel nicht gefährlicher als andere – im Gegenteil, sie haben oft selbst Gewalt erlebt und sind eher Opfer als Täter. Diese falsche Darstellung führt zu zusätzlicher Stigmatisierung und Angst.

Für Betroffene kann diese einseitige Darstellung schwerwiegende Folgen haben. Sie fühlen sich missverstanden und ausgegrenzt, was dazu führen kann, dass sie sich zurückziehen und es vermeiden, über ihre Erfahrungen zu sprechen. Angst vor Ablehnung oder sogar vor falschen Verdächtigungen kann dazu führen, dass sie notwendige Unterstützung nicht in Anspruch nehmen. Die ständige mediale Verbindung zwischen DIS und Gefahr verstärkt zudem das gesellschaftliche Misstrauen gegenüber DIS-Menschen, was ihre Integration und ihr Wohlbefinden erheblich erschweren kann.

„Wir werden es nie verstehen, es ist eine verkehrte Welt!
Die Gefährlichen sind nicht wir, sondern die, die unser Leben mit DIS erschaffen haben! Warum sind wir in dem ganzen die Bösen? We will never understand“
Aus dem Systemtagebuch (Anteil 16 Jahre)

Mythos 5: „Man merkt sofort, wenn jemand DIS hat“

Viele glauben, dass DIS immer mit offensichtlichem Identitätswechsel einhergeht. In Wahrheit können viele Betroffene im Alltag sehr unauffällig funktionieren. Die meisten Systeme entwickeln Strategien, um in der Gesellschaft zurechtzukommen, sodass die dissoziativen Wechsel oft nur im geschützten Raum sichtbar werden, wenn überhaupt. Es braucht sehr viel Vertrauen für ein System, bis es sich zeigt und sich sichtbar macht!

Dabei ist es wichtig zu verstehen, dass DIS in erster Linie eine Schutzfunktion erfüllt. Der Mechanismus dahinter sorgt nicht nur für das Überleben in schwierigen Situationen, sondern auch dafür, dass die Struktur möglichst unauffällig bleibt. Zum Schutz gehört es oft, dass bestimmte Persönlichkeiten den Alltag bewältigen, indem sie sich anpassen und funktionieren, ohne aufzufallen. Diese sogenannten Alltags-Persönlichkeiten übernehmen häufig Aufgaben wie Arbeit, soziale Interaktionen oder Routinen, während andere Anteile im Hintergrund bleiben. Dadurch entsteht nach außen hin oft das Bild einer scheinbar „normalen“ Person, obwohl intern viel mehr passiert.

Mythos 6: „Das kann geheilt werden, wenn man sich nur genug anstrengt“

Ein häufiges Missverständnis ist, dass DIS durch reinen Willen oder bestimmte Therapieformen „geheilt“ werden kann. In Wahrheit geht es bei der Therapie von DIS nicht darum, die verschiedenen Anteile zu eliminieren, sondern um Stabilität, Kommunikation und ein funktionales Zusammenleben innerhalb des Systems. Heilung sieht für jede Person anders aus und bedeutet nicht zwangsläufig eine Integration aller Anteile. Es geht nicht darum, aus einem System eine einzelne Person zu machen, sondern darum, einen Weg zu finden, wie das System als Ganzes gut funktionieren kann. Für viele Betroffene bedeutet Heilung vielmehr Akzeptanz, Selbstbestimmung und ein stabiles Leben mit ihren verschiedenen Anteilen. Und das vor allem in Sicherheit!

Peace Mädchen
„Manchmal hab ich ehrlich gesagt sogar Angst, dass manche einfach aus dem System verschwinden, weil sie nicht mehr gebraucht werden. Das hatten wir schon einmal und das war richtig traurig.“

Mythos 7: „Kinder können das nicht haben“

Es wird oft angenommen, dass DIS nur bei Erwachsenen diagnostiziert wird. Doch tatsächlich beginnt die Entwicklung der in der frühen Kindheit als Reaktion auf überwältigende Erfahrungen. Kinder mit DIS zeigen oft Symptome wie Erinnerungslücken, plötzliche Persönlichkeitswechsel oder das Gefühl, „nicht ganz da“ zu sein. Allerdings werden diese Anzeichen oft übersehen oder als andere psychische Probleme fehldiagnostiziert. Viele Betroffene erhalten ihre Diagnose erst im Jugend- oder Erwachsenenalter, weil sich erst dann die Herausforderungen des Alltags, verstärkte Wechsel oder eine tiefere Auseinandersetzung mit der eigenen Identität bemerkbar machen.

Besonders in der Kindheit können DIS-Symptome unauffällig wirken, da viele betroffene Kinder Strategien entwickeln, um sich anzupassen und ihre Schwierigkeiten zu verbergen. Auch das soziale Umfeld, das oft wenig über DIS weiß, interpretiert die Symptome möglicherweise als Konzentrationsprobleme, extreme Tagträumerei oder Stimmungsschwankungen. Eine frühzeitige Anerkennung und Unterstützung kann ihnen helfen, besser mit ihrer Situation umzugehen und sich in einem stabilen Umfeld sicherer zu fühlen.

Fazit: weniger Vorurteile, Mehr Aufklärung

Die DIS ist ein komplexes Thema, das oft falsch verstanden wird. Indem wir mit Mythen aufräumen und uns mit den realen Erfahrungen Betroffener auseinandersetzen, können wir dazu beitragen, Stigmatisierung abzubauen und eine offenere, verständnisvollere Gesellschaft zu schaffen. Wissen ist der erste Schritt zu Empathie und Verständnis 🦋

Je mehr Menschen über die Realität von DIS Bescheid wissen, desto eher können Vorurteile abgebaut und Betroffene besser unterstützt werden. Jeder einzelne von uns kann dazu beitragen, indem wir achtsam zuhören, Informationen hinterfragen und auf eine inklusive Gesellschaft hinarbeiten.

Deine Gedanken und Erfahrungen?

Was denkst du über die verbreiteten Mythen zur DIS? Hattest du bereits Berührungspunkte mit diesem Thema oder vielleicht eigene Erfahrungen? Wie können wir gemeinsam für mehr Aufklärung und Akzeptanz sorgen?

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