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DIS vs. innere anteile – Sind wir nicht alle ein bisschen multipel?

DIS vs. innere Anteile. Immer wieder hören wir Sätze wie „Ich bin auch manchmal wie ein Kind!“ oder „Jeder Mensch hat innere Anteile“. Und ja, viele Menschen kennen das Gefühl, unterschiedliche Facetten ihrer Persönlichkeit zu haben oder manchmal kindlich zu reagieren. Doch eine dissoziative Identitätsstruktur (DIS) ist etwas völlig anderes als innere Anteile oder das Konzept eines „inneren Kindes“.

Diese Vergleiche sind oft nicht böse gemeint, aber sie verharmlosen eine tiefgreifende, traumabedingte Struktur.
Wer wirklich verstehen will, warum eine DIS nicht dasselbe ist wie ein inneres Kind, muss sich ansehen, wie diese Konzepte entstehen. Und worin die entscheidenden Unterschiede liegen.

DIS vs. innere Anteile – Was sind innere Anteile?

Innere Anteile sind verschiedene Aspekte der Persönlichkeit, die sich in bestimmten Situationen unterschiedlich äußern können. Zum Beispiel kann eine Person im Berufsleben sehr diszipliniert sein, während sie im privaten Umfeld verspielt und locker ist. Das sind natürliche, flexible Ausdrucksweisen der Persönlichkeit.

Persönlichkeit ist vergleichbar mit einem inneren System, in dem verschiedene Anteile wirken. Dieses System ist dynamisch, je nach Situation treten unterschiedliche Anteile mit ihren Eigenschaften in den Vordergrund. Sie können unterstützend oder hinderlich sein, sich ergänzen oder widersprechen. Schulz von Thun spricht vom „inneren Team“, andere Fachleute, wie Gunther Schmidt, nennen es eine „innere Konferenz“.

Diese Anteile sind jedoch immer miteinander verbunden und gehören zu einer Person. Es gibt keine klaren Grenzen zwischen ihnen, kein Vergessen oder Zeitverluste, wie es bei einer DIS oft der Fall ist.

DIS vs. innere Anteile
Wir kennen es nicht, dass es eine übergeordnete Person gibt, aber so stelle ich (Laura) es mir vor. Alle Anteile können miteinander kommunizieren und sind verbunden, wie in einem Spiegelbild.

Die inneren Anteile bei Nicht-DIS-Menschen haben eine übergeordnete Instanz, eine zentrale Persönlichkeit, die sie führt und ihnen eine Struktur gibt. Es gibt einen klaren Kern, der alles verbindet. Alle Erfahrungen, Emotionen und Erinnerungen gehören zu einer Gesamtpersönlichkeit und sind (generell) jederzeit zugänglich.

Konzept des inneren Kindes

Auch das Konzept des „inneren Kindes“ beschreibt keine eigenständige Identität, sondern eine gefühlsmäßige Verbindung zu kindlichen Erlebnissen und Bedürfnissen. Es basiert auf der Vorstellung, dass in jedem Menschen emotionale Spuren der Kindheit vorhanden sind. Und diese beeinflussen das heutige Erleben und Verhalten. Diese inneren Kinder sind jedoch keine abgetrennten Persönlichkeiten, sondern integrale Teile der Gesamtpersönlichkeit. Die können sich in bestimmten Situationen bemerkbar machen.

Während in einer DIS die kindlichen Innenpersonen oft in ihrer eigenen Zeit „gefangen“ sind und keine bewusste Verbindung zu späteren Lebensphasen haben, ist das innere Kind nach Bradshaw ein zugänglicher Teil des Selbst, mit dem gearbeitet werden kann. Therapeutische Ansätze zum inneren Kind helfen oft dabei, alte Verletzungen bewusst zu machen und heilsam in das eigene Erleben zu integrieren.
Bei einer DIS geht es hingegen um eine Struktur, in der sich verschiedene Innenpersonen unabhängig voneinander entwickelt haben, oft mit separaten Erinnerungen und Erlebensweisen. Das bedeutet, dass das Konzept des inneren Kindes nicht ausreicht, um die Realität von DIS-Menschen zu erklären oder mit ihr gleichgesetzt zu werden.

DS vs. Inneres Kind

DIS vs. innere Anteile – Unterschiede

Eine dissoziative Identitätsstruktur ist keine bloße Vielseitigkeit oder ein Zugang zu inneren Kindanteilen. Sie ist das Resultat von schweren und meist langanhaltenden Traumata in der frühen Kindheit. Damit das Kind überleben kann, werden Erinnerungen, Emotionen und Erlebtes so tief gespalten, dass sich eigenständige Identitäten, also Innenpersonen, entwickeln. Diese Innenpersonen haben oft eigene Namen, Vorlieben, Abneigungen, Fähigkeiten und sogar eigene Erinnerungen, die nicht mit denen anderer Innenpersonen geteilt werden.

Der größte Unterschied zu inneren Anteilen ist also: Innenpersonen einer DIS existieren oft unabhängig voneinander, mit eigenen Bewusstseinszuständen. Während eine Person mit inneren Anteilen immer Zugang zu allen Facetten ihrer Persönlichkeit hat, können Menschen mit DIS oft nicht bewusst steuern, wer „vorne“ ist, also wer in einer Situation handelt oder spricht.

Dazu kommt, dass Wechsel zwischen Innenpersonen oft mit Zeitverlusten einhergehen, etwas, das bei normalen Persönlichkeitsanteilen nicht vorkommt. Während ein Mensch mit Vielseitigkeit sich stets als eine Einheit erlebt, kann ein DIS-Mensch erleben, dass verschiedene Innenpersonen unabhängig voneinander agieren, ohne dass andere davon wissen oder sich erinnern.

DIS vs. innere Anteile – Vergleich problematisch

Wenn jemand sagt „Ich bin auch manchmal wie ein Kind“, mag das gut gemeint sein, aber es zeigt ein grundlegendes Missverständnis darüber, was eine DIS ist. Diese Vergleiche verharmlosen eine tiefgreifende Traumafolgestörung und reduzieren sie auf etwas, das jeder Mensch erlebt, was schlicht nicht der Realität entspricht.

Eine DIS ist keine Spielerei oder Laune, sondern eine hochkomplexe Anpassungsstrategie, die sich aus einer Notwendigkeit heraus entwickelt hat. Während innere Anteile oder das innere Kind in die Gesamtpersönlichkeit integriert sind, gibt es bei DIS-Strukturen oft eine tiefe Fragmentierung, die nicht einfach durch Reflexion oder Therapie „zusammengefügt“ werden kann.

Hinzu kommt, dass solche Vergleiche oft ungewollt dazu führen, dass DIS-Menschen sich unverstanden oder nicht ernst genommen fühlen. Aussagen wie „Das kenne ich auch!“ oder „Jeder hat doch verschiedene Seiten!“ können das Erleben von DIS verharmlosen und den Eindruck vermitteln, als wäre diese Überlebensstruktur nichts weiter als eine Eigenheit, die sich mit genug Willenskraft steuern ließe.

Für Menschen mit DIS ist es oft schwierig genug, ihre Realität selbst zu verstehen und sich damit in einer Gesellschaft zurechtzufinden, die wenig Wissen über dissoziative Identitätsstrukturen hat. Wenn ihre Erfahrungen dann auch noch heruntergespielt oder falsch verglichen werden, kann das das Gefühl verstärken, nicht wirklich gesehen oder ernst genommen zu werden.

Herzzerreißend
Es zerreißt mir jedes Mal das Herz, wenn Menschen behaupten, dass sie dasselbe Leben führen, wie wir! Denn das stimmt einfach nicht. Pia

Wie könnt ihr stattdessen reagieren?

Statt vorschnelle Vergleiche zu ziehen, könnt ihr Menschen mit DIS besser unterstützen, indem ihr einfach zuhört und anerkennt, dass ihr Erleben nicht mit einer „normalen“ Persönlichkeitsstruktur gleichzusetzen ist.

Was hilft?

  • Seid bereit, euch wirklich mit dem Thema auseinanderzusetzen.
  • Fragt nach, wenn ihr unsicher seid, anstatt vorschnelle Annahmen zu treffen.
  • Respektiert, dass eine DIS kein Zeichen von Schwäche oder Übertreibung ist, sondern eine bewährte Überlebensstrategie.
  • Hört aktiv zu, ohne vorschnelle Ratschläge oder Vergleiche zu ziehen.
  • Nehmt euch Zeit, über das Thema zu lernen, anstatt es nur oberflächlich zu betrachten.
  • Seid euch bewusst, dass DIS-Menschen oft selbst noch dabei sind, ihre eigene Struktur zu verstehen. Geduld und Offenheit sind essenziell.
  • Fragt nach, wie ihr konkret unterstützen könnt, statt Annahmen zu treffen, was „hilfreich“ sein könnte.

Eine DIS ist nicht dasselbe wie normale innere Anteile oder das Konzept eines inneren Kindes. Und das zu verstehen, ist ein wichtiger Schritt hin zu mehr Sensibilität und echtem Verständnis.

Fazit – Seid bereit dazuzulernen

DIS ist weit mehr als eine Sammlung verschiedener Persönlichkeitsanteile. Sie ist eine tiefgehende und komplexe Struktur, die als Reaktion auf traumatische Erfahrungen entstanden ist. Der Vergleich mit inneren Anteilen oder dem Konzept des inneren Kindes greift deshalb viel zu kurz und kann zu Missverständnissen führen.

Wirkliches Verständnis beginnt damit, die Unterschiede anzuerkennen und auf die individuellen Erfahrungen von DIS-Menschen einzugehen. Zuhören, Offenheit und die Bereitschaft, dazuzulernen, sind dabei wertvolle Schritte in Richtung echter Akzeptanz und Sensibilität.

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7 Kommentare

  1. Hallo Nika,
    wie interessant. Ich muss zugeben, dass ich bisher lediglich wusste, dass es DIS gibt und ganz grob auch, was das bedeutet. Aber so wirklich damit auseinander gesetzt habe ich mich damit noch nicht. Ich habe allerdings meines Wissens niemanden im direkten Umfeld, der damit lebt.
    Ich Stelle mir das sehr herausfordernd vor und ihr habt mich neugierig gemacht, im positiven Sinne, mich mit DIS näher zu befassen.
    Lieben Dank für eure Anregung
    Angelika

    1. Bueeeenos días Angelika,

      danke für deine Rückmeldung, deine Worte und deine Gedanken 🦋

      Es freut uns wirklich sehr, dass wir neugierig machen konnten! DIS ist ein Thema, wo viele Menschen in der Gesellschaft wenig bis gar nichts drüber wissen, leider! Wir freuen uns über jedes bisschen Aufklärung, was wir leisten können 🥰

      Viele Grüße
      Nika

  2. Hallo Nika,
    herzlichen Dank für diese Information. Durch deine ausführliche Erklärung habe ich sowohl noch was über das Innere-Kind-Konzept erfahren als auch über DIS. Freue mich auf weitere Informationen.
    Viele Grüße
    Birgit

  3. Hallo Nika!

    Vielen Dank für Euren wertvollen Artikel. Es ist nicht der erste Artikel von Euch, den ich gelesen habe und ich kann mich nur wiederholen, wie großartig ich Eure Arbeit finde. Jeder zukünftige Heilpraktiker für Psychotherapie (und nicht nur sie) sollte Euren Blog zur Vorbereitung auf die Überprüfung beim Gesundheitsamt lesen.

    Euch alles Liebe – Karina