Entstehung DIS – Eine kompakte Einführung

Die Dissoziative Identitätsstruktur (DIS), früher als multiple Persönlichkeitsstörung bekannt, ist eine komplexe psychische Struktur, die sich infolge schwerer traumatischer Erlebnisse in der frühen Kindheit entwickelt. In diesem Artikel gehen wir auf die Entstehung der DIS ein und beleuchten die zugrunde liegenden Mechanismen sowie die psychischen und neurobiologischen Auswirkungen.

Wichtiger Hinweis! Dieser Artikel ist absolut ungefiltert und kann somit trigger enthalten. Solltest du dir nicht sicher sein,
lies ihn bitte erst, wenn du dich entweder stabil genug fühlst oder
im Beisein einer unterstützenden Person!
Achte auf dich!

Was ist eine DIS?

Wir haben darüber einen Blogartikel geschrieben, den du dir gerne hier durchlesen kannst: Falls du noch keine Ahnung von einer DIS hast (was nicht schlimm ist), empfehlen wir auf jeden Fall den zuerst zu lesen.

https://www.nikavida.com/was-ist-eigentlich-eine-dis/

Entstehung DIS – Die Rolle von Trauma

Die überwiegende Mehrheit der Menschen mit DIS hat in der Kindheit schwere, wiederholte Traumatisierungen erlebt. Dazu gehören:

  • Körperlichen, emotionalen oder sexuellen Missbrauch zu erfahren
  • Vernachlässigung und emotionale Kälte zu erleben
  • Zeuge oder Opfer von extremer Gewalt zu sein
  • Frühen Verlust wichtiger Bezugspersonen zu erfahren

Kinder haben im frühen Alter noch nicht die kognitiven und emotionalen Fähigkeiten, um mit solchen Erlebnissen umzugehen (zumal es ja auch für Erwachsene auch nicht leicht ist). Wenn keine schützenden Bezugspersonen vorhanden sind oder die Umwelt die Verarbeitung erschwert, bleibt oft nur die Flucht in die Dissoziation.

Entstehung DIS - Flucht in die Dissoziation

Dissoziation als Überlebensmechanismus

Dissoziation ist eine natürliche Schutzreaktion des Gehirns auf unerträgliche Angst oder Schmerz. Dabei trennt sich das Bewusstsein von der gegenwärtigen Realität, um die psychische Belastung zu reduzieren. Bei wiederholten oder extremen Traumata kann diese Dissoziation so stark werden, dass das Bewusstsein fragmentiert. Dies führt zur Herausbildung unterschiedlicher Identitätsanteile, die jeweils spezifische Erlebnisse, Emotionen oder Funktionen übernehmen.

Entstehung DIS – Neurobiologische Faktoren

Die Gehirnentwicklung von Kindern ist stark von ihrer Umwelt abhängig. Traumata in der frühen Kindheit beeinflussen die Reifung bestimmter Gehirnregionen, insbesondere:

  • Amygdala: Sie ist für die Verarbeitung von Angst zuständig und bei traumatisierten Menschen oft überaktiv.
  • Hippocampus: Diese Region ist für die Gedächtnisverarbeitung verantwortlich und kann durch chronischen Stress beeinträchtigt werden, was zu Gedächtnislücken und Amnesien führt.
  • Präfrontaler Kortex: Er reguliert Emotionen und Impulse, aber seine Funktion kann durch Traumata eingeschränkt sein, was eine stabile Selbstwahrnehmung erschwert.

Diese Veränderungen tragen dazu bei, dass sich eine DIS entwickeln kann, insbesondere wenn sich das Gehirn noch in der Wachstumsphase befindet.

Entstehung DIS - Neurobiologie

Die Bedeutung des Bindungsverhaltens

Sichere Bindungen zu Bezugspersonen spielen eine wesentliche Rolle für die psychische Entwicklung eines Kindes. Eine sichere Bindung bietet Schutz, Trost und Unterstützung bei der Verarbeitung belastender Erfahrungen.

Mini-Kleiner Exkurs in die Bindungstheorie

Die Bindungstheorie beschreibt vier Bindungstypen: sichere, unsicher-vermeidende, unsicher-ambivalente und desorganisierte Bindung.

  • Kinder mit sicherer Bindung erleben ihre Bezugspersonen als zuverlässig und schützend
  • Kinder mit unsicheren Bindungsmustern erfahren häufig emotionale oder physische Vernachlässigung
  • Die desorganisierte Bindung, die oft bei Missbrauch oder inkonsistentem Verhalten der Bezugspersonen entsteht, wird mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für spätere dissoziative Störungen in Verbindung gebracht

Das bedeutet für die DIS

Kinder, die in einem Umfeld aufwachsen, in dem ihre Bezugspersonen unberechenbar, missbräuchlich oder abweisend sind, entwickeln oft unsichere oder desorganisierte Bindungsmuster. Diese Unsicherheit begünstigt die Dissoziation als Überlebensstrategie, da das Kind keinen stabilen inneren Bezugsrahmen aufbauen kann und stattdessen verschiedene Anteile entwickelt, um mit der Unsicherheit umzugehen.

Entstehung DISIdentitätsanteile

Die verschiedenen Identitätsanteile einer DIS entstehen aus der Notwendigkeit heraus, traumatische Erfahrungen voneinander zu trennen. Einige der häufigsten Funktionen der Anteile sind:

  • Beschützende Anteile: Diese übernehmen die Verantwortung, das System zu stabilisieren und Sicherheit zu gewährleisten.
  • Alltags- oder Front-Anteile: Sie treten im Alltag in Erscheinung und sorgen für ein funktionierendes Leben.
  • Trauma-Träger-Anteile: Diese Anteile enthalten traumatische Erinnerungen und Emotionen, die für das restliche System oft schwer zugänglich sind.
  • Introjekte: Sie spiegeln oft Täterfiguren wider und haben selbstschädigende oder aggressive Tendenzen.

Diese Struktur ermöglicht es dem Individuum, in einer bedrohlichen Umwelt zu überleben, indem die traumatischen Erlebnisse in verschiedene Bewusstseinsteile aufgespalten werden.

Hier mal 3 Anteile aus unserem System

Alltagspersönlichkeit, 14 Jahre alt, keinen Zugang zu Traumata.
Ein Anteil aus dem Beschützerteam
im System.
Persönlichkeitsanteil als Trauma Träger,
16 Jahre alt.

Entstehung DIS – Gesellschaft & Kultur

Neben den individuellen Erfahrungen beeinflussen auch gesellschaftliche und kulturelle Faktoren die Entstehung einer DIS. In Kulturen, in denen über Trauma und psychische Gesundheit wenig gesprochen wird oder in denen Gewalt normalisiert ist, fällt es Betroffenen schwerer, Hilfe zu erhalten oder sich ihrer Symptome bewusst zu werden.
Das Stigma um psychische Erkrankungen kann dazu führen, dass Betroffene ihre Symptome nicht ernst nehmen oder sich nicht trauen, über ihr Erleben zu sprechen. Zudem haben kulturelle Vorstellungen darüber, was als „normales“ Verhalten gilt, einen Einfluss darauf, wie sich dissoziative Symptome äußern und wie sie interpretiert werden.
In Gesellschaften, in denen Individualität und Autonomie stark betont werden, können Betroffene möglicherweise weniger Unterstützung durch ein soziales Netz erfahren als in Kulturen, in denen kollektive Fürsorge im Vordergrund steht. Auch der Zugang zu angemessener psychotherapeutischer Versorgung ist je nach Land und Sozialsystem unterschiedlich, was die Behandlungschancen für Betroffene erheblich beeinflussen kann.

Früherkennung und Prävention

Da die DIS aus schwerem Trauma resultiert, ist eine frühzeitige Intervention essenziell. Wichtige Präventionsmaßnahmen sind:

  • Schutz von Kindern vor Missbrauch und Gewalt
  • Aufklärung über Dissoziation und Trauma
  • Förderung sicherer Bindungen durch stabile Bezugspersonen
  • Frühzeitige therapeutische Unterstützung für traumatisierte Kinder

Jede dieser Maßnahmen trägt dazu bei, das Risiko für die Entwicklung einer DIS zu verringern. Der Schutz von Kindern ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, da sichere Umfelder, Aufklärung und Unterstützung nicht nur von Eltern, sondern auch von Bildungseinrichtungen, medizinischem Fachpersonal und politischen Entscheidungsträgern gewährleistet werden müssen. Indem wir uns für sichere Bindungen und eine Sensibilisierung für Trauma einsetzen, können wir langfristig dazu beitragen, dass weniger Menschen in ihrer Kindheit ungeschützt schweres Leid erfahren müssen. Und das muss jeder einzelnen Person in der Gesellschaft klar sein! Wir ALLE haben die Verantwortung!

Fazit – Strategie in einer feindlichen Umwelt

Die Entstehung einer DIS ist ein komplexer Prozess, der aus einer Kombination von schweren Kindheitstraumata, neurobiologischen Veränderungen und psychischen Schutzmechanismen resultiert. Dissoziation dient dabei als Überlebensstrategie in einer feindlichen Umwelt. Eine frühzeitige Erkennung und angemessene Unterstützung können jedoch helfen, den Betroffenen ein stabileres Leben zu ermöglichen.

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