Schreiben mit DIS – Warum Worte für uns Überleben, Kunst und Verbindung sind
Wir freuen uns, Teil der Blogparade „Was schreibst du, und warum?“ von Inge Bateman zu sein.
Schon die Frage hat bei uns einiges ausgelöst, weil Schreiben mit DIS für uns so viel mehr ist als „nur“ Worte auf Papier oder Bildschirm.
Schreiben ist für uns Ausdruck, Verbindung und Widerstand.
Es ist ein Werkzeug, um mit unserer DIS-Struktur sichtbar zu werden, uns selbst besser zu verstehen und gleichzeitig ein Beitrag zur gesellschaftlichen Aufklärung über Trauma und DIS zu leisten.
In diesem Beitrag erzählen wir euch, warum wir schreiben, wie das mit einer DIS-Struktur eigentlich funktioniert und warum es dringend Zeit ist, dass Trauma und DIS in unserer Gesellschaft mehr Aufmerksamkeit bekommen.
Was wir schreiben & warum das für uns mehr ist, als Worte
„Ihr seid einfach sehr kreativ.“
„Das klingt doch eher nach Fantasie als nach Realität.“
„DIS? Gibt’s das wirklich?“
Wir schreiben.
Weil es uns gibt.
Weil unsere Realität nicht weniger real ist, nur weil sie komplex ist.
Und weil Worte eine der stärksten Möglichkeiten sind, genau das zu zeigen:
Dass wir viele sind. Und dass das völlig in Ordnung ist.

Schreiben mit DIS – zwischen Kunst, Chaos & Klarheit
Unsere Texte entstehen mit einer Dissoziativen Identitätsstruktur.
Das bedeutet: Wir schreiben mit vielen Persönlichkeiten. Das ist keine Metapher, sondern unsere gelebte Realität.
Manche von uns schreiben Gedichte, voller Bilder, Klang und Gefühl.
Andere bevorzugen sachliche Texte, mit klarer Struktur und Fakten.
Manche notieren Gedanken fragmentarisch, in Stichpunkten oder in Bildern.
Andere arbeiten an zusammenhängenden Blogartikeln, die oft über mehrere Tage oder Wochen entstehen.
Ein Text ist für uns selten ein geschlossenes Projekt von Anfang bis Ende.
Oft beginnt eine Persönlichkeit, weil sie gerade einen Impuls spürt, eine Emotion oder eine Erinnerung festhalten will. Am nächsten Tag liest eine andere das Geschriebene und ergänzt, verändert oder versteht es auf ganz eigene Weise.
So entsteht etwas Gemeinsames.
Ein Text, der mehr ist als die Summe seiner Teile.
Ein Mosaik aus unterschiedlichen Stimmen, Erfahrungen, Perspektiven und Gefühlen. Am Ende jedoch gibt es nur eine Persönlichkeit, die den Blogartikel nochmal überliest, evtl. strukturiert und veröffentlicht und das ist Fenja.
Für Außenstehende mag das chaotisch wirken.
Für uns ist es ein kreatives Zusammenspiel, manchmal anstrengend, oft überraschend und immer ehrlich.
Warum wir schreiben – Für die Realität
Wir schreiben, weil es uns guttut.
Weil wir durch das Schreiben innere Zustände ordnen können.
Weil wir manchmal erst im Schreiben spüren, was in uns gerade lebt.
Aber wir schreiben nicht nur für uns.
Wir schreiben auch, weil wir es satt haben, dass über uns gesprochen wird, aber selten mit uns.
DIS ist immer noch kaum bekannt.
Und wenn es bekannt ist, dann oft nur durch mediale Verzerrungen, die unsere Realität ins Lächerliche oder Monströse ziehen.
Dabei ist DIS keine Ausnahmeerscheinung.
Sie ist eine kreative, intelligente Reaktion auf überwältigendes Trauma.
Eine Überlebensleistung. Keine Störung im Sinne eines „Defekts“.
Unsere Texte sind deshalb auch ein Gegengewicht.
Sie widerlegen Mythen, sie geben Einblick, sie laden zum Verstehen ein.
Wir schreiben gegen das Schweigen. Gegen die Unsichtbarkeit. Gegen die Reduktion auf Klischees.
Und ja, das ist politisch.
Denn jedes Wort, das wir veröffentlichen, widerspricht der Vorstellung, dass Menschen mit DIS nicht „fähig“ seien.
Nicht kompetent. Nicht glaubwürdig. Nicht kreativ.
Wir sind es. Und nicht nur wir sind es, denn damit sind wir nicht alleine.
Und genau deshalb schreiben wir.

Schreiben mit DIS – als kreative Ausdrucksform & Verbindung
Viele von uns lieben Sprache.
Wir spielen mit Worten, wir schreiben Gedichte, wir gestalten Sätze, bis sie sich richtig anfühlen.
Für uns ist Schreiben mehr als Kommunikation. Es ist Ausdruck, Kunst, Widerstand und manchmal auch Trost.
Wenn wir schreiben, öffnen wir einen Raum.
Für unsere Persönlichkeiten, die oft ganz unterschiedliche Ausdrucksbedürfnisse haben.
Und für euch, die das lesen, vielleicht zum ersten Mal, vielleicht regelmäßig.
Gerade für andere Menschen mit einer DIS-Struktur kann dieser Raum unglaublich entlastend sein. Denn es ist eine riesige Erleichterung zu merken, dass man nicht allein ist.
Dass andere ähnliche Fragen stellen, ähnliche Hürden kennen, ähnliche Worte suchen.
Texte können Brücken schlagen.
Sie schaffen Verbindung, wo sonst oft Isolation ist.
Sie ermöglichen Austausch, wo vorher vielleicht nur Unsicherheit war.
Wenn jemand schreibt:
„Ich kenne das Gefühl, nicht zu wissen, wer ich gerade bin.“
Und jemand anders liest diesen Satz und atmet zum ersten Mal auf,
weil er nicht mehr das Gefühl hat, verrückt zu sein, dann hat Schreiben mehr erreicht, als wir je messen können.
Die Gesellschaft darf nicht länger wegschauen
Schreiben bedeutet für uns auch, Verantwortung zu übernehmen.
Denn solange DIS als seltene, exotische Ausnahme behandelt wird,
solange Trauma bagatellisiert, psychologisiert oder verdrängt wird,
solange Menschen mit komplexen Traumafolgen um Anerkennung kämpfen müssen,
solange schreiben wir weiter.
Die Gesellschaft muss sich endlich dem Thema Trauma stellen.
Nicht nur auf Konferenzen, nicht nur in Sonderformaten, sondern im Alltag.
In Schulen. In Behörden. In der Medizin. In der Therapie.
Und auch in der Kunst, in der Literatur, im öffentlichen Diskurs.
Wir sind viele.
Und wir werden sichtbar.
Auch durch unsere Texte.

Schreiben mit DIS – Was bleibt & was wir hoffen
Nicht jeder Text verändert die Welt.
Aber vielleicht verändert er einen Blick.
Eine Haltung.
Ein Gefühl von Verbundenheit.
Wenn ein Coach nach dem Lesen eines Artikels besser zuhört.
Wenn eine DIS-Person sich selbst wiedererkennt.
Wenn eine Sozialarbeiterin beginnt, wirklich zu fragen, statt zu interpretieren,
dann ist das ein Gewinn, den keine Statistik erfassen kann.
Wir schreiben, weil wir viele sind.
Wir schreiben, weil wir wollen, dass andere sich weniger allein fühlen.
Wir schreiben, weil wir es können und weil wir das dürfen sollten,
ohne uns dafür rechtfertigen zu müssen.
Schreiben ist mehr als Tinte auf Papier.
Es ist ein Teil von uns.
Und manchmal auch: ein Zuhause.
Schreibt ihr auch?
Was bedeutet Schreiben für euch?
Schreibt ihr mit einer DIS-Struktur?
Habt ihr Persönlichkeiten, die sich lieber kreativ ausdrücken, oder lieber sachlich bleiben?
Gibt es Texte, die ihr nie veröffentlicht habt, aber die euch innerlich bewegt haben?
Teilt es gern in den Kommentaren mit uns.
Lasst uns zeigen, dass es uns gibt und dass die Gesellschaft dies endlich akzeptieren muss!
Herzlichen Dank für euren Beitrag zur Blogparade. Eure Texte sind nicht nur persönlich, sondern auch gesellschaftlich relevant. Es ist wichtig, dass wir lernen, mit mehr Transparenz und weniger Stigmatisierung über Trauma, Identität und Vielfalt zu sprechen. Danke, dass ihr diesen Raum mitgestaltet.
Herzliche Grüße
Inge
Liebe ALLE,
das ist unglaublich toll, wie ihr das macht. Wenn man das nicht selbst kennt, so wie ich, dann ist es schwer vorstellbar, andererseits total spannend.
Das ist zwar kaum vergleichbar, aber ich lasse meine Texte auch gerne mal liegen, über Nacht oder auch länger. Manchmal überarbeite ich noch einige Passagen, aber es kommt auch vor, dass der Text sich mit Abstand nicht mehr stimmig anfühlt.
Vielen Dank für diesen ehrlichen und sehr persönlichen Einblick in euren (Schreib)Alltag.
Vielleicht habt ihr Lust auch meinen Artikel zu lesen?
https://lidijatesche.de/was-ich-schreibe-und-warum-das-schreiben-ist-mein-weg-zu-mir-selbst/
Herzliche Grüße
Lidija
Vielen lieben Dank für deine Worte 🥰
Wir schauen sehr gerne auch in deinen Artikel rein 🦋