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Unterstützung bei DIS – Wie ihr als Coach wirklich helfen könnt

Viele von euch begleiten Menschen mit Dissoziativer Identitätsstruktur. Sei es in Coaching, Beratung, Therapie, Soziale Arbeit oder in einer anderen unterstützenden Rolle. Und wahrscheinlich kennt ihr das: Ihr wollt helfen, wirklich da sein, etwas bewegen. Und trotzdem kommt es zu Missverständnissen, Rückzügen oder sogar zum Beziehungsabbruch. Warum ist das so? Und wie könnt ihr es anders machen, ohne euch selbst zu verlieren?
Dieser Artikel ist für euch zum Thema Unterstützung bei DIS. Und für alle, die sich eine ehrliche, tragfähige und wirklich unterstützende Begleitung wünschen.

Unterstützung bei DIS ist keine Rettung

Viele von uns haben erlebt, dass Helfer:innen mit einer gewissen Mission auftreten: „Ich will dir helfen.“.
Klingt erstmal gut, aber in der Tiefe verbirgt sich oft ein unausgesprochenes Machtgefälle. Wenn Hilfe bedeutet, dass jemand uns „heile machen“ oder „reparieren“ will, fühlen wir uns nicht gesehen, sondern bewertet. Unterstützung bedeutet nicht, zu retten. Sie bedeutet, gemeinsam zu gehen. Ohne den Anspruch, zu wissen, wo genau der Weg hinführt.

Was das in der Praxis heißen kann? Hier ein paar Beispiele:

  • Nicht: „Du musst dich mehr integrieren.“
    Sondern: „Wie fühlt sich Integration für euch überhaupt an? Und wollt ihr diesen Weg gerade gehen?“
  • Nicht: „Ihr müsst euch öffnen, sonst kann ich euch nicht helfen.“
    Sondern: „Ich merke, dass ihr gerade zögert! Was würde euch helfen, euch sicherer zu fühlen?“
  • Nicht: „Das war doch ’nur‘ ein Wechsel.“
    Sondern: „Ich hab den Wechsel mitbekommen. Gibt es etwas, das ich wissen oder lassen sollte?“

Ihr müsst keine Lösung parat haben. Aber ihr könnt Raum schaffen für unsere eigenen.

Sicherheit beginnt mit Selbstreflexion

Bevor ihr uns begleiten könnt, braucht ihr eines ganz sicher: euch selbst!
Damit meinen wir nicht eine professionelle Ausbildung oder einen vollen Methodenkoffer, sondern vor allem eure Fähigkeit zur ehrlichen Selbstwahrnehmung.

Habt ihr euch schon gefragt:

  • Welche Gefühle tauchen bei euch auf, wenn wir uns abgrenzen?
  • Was macht es mit euch, wenn wir in einem Gespräch plötzlich „nicht mehr da“ sind?
  • Welche Erwartungen habt ihr an einen „Fortschritt“ in unserer Begleitung?

Das sind keine einfachen Fragen, aber sie sind entscheidend. Denn im Kontakt mit einer DIS-Struktur begegnet ihr nicht nur uns, sondern oft auch euch selbst. Eure unbewussten Muster, Trigger, Ängste oder Projektionen werden früher oder später auftauchen. Nicht, weil ihr etwas falsch macht, sondern weil Beziehung lebendig ist.

Besonders herausfordernd bei der Unterstützung einer DIS ist, das sie oft oft Ambivalenz mitbringt. Mal ist da Nähe, dann Rückzug. Mal Offenheit, dann plötzliches Schweigen. Wenn ihr diese Wechsel nicht nur aushalten, sondern auch reflektieren könnt, entsteht ein echtes Gegenüber.

Sicherheit entsteht nicht durch Kontrolle, nicht durch „richtig reagieren“ oder „alles im Griff haben“. Sicherheit entsteht durch eure innere Klarheit. Durch eure Fähigkeit, euch selbst gut zu halten. Wenn ihr präsent seid, auch in eurer eigenen Unsicherheit, dann spüren wir das. Und wenn ihr euch verliert, spüren wir das genauso.

Ein wertvoller Schritt kann sein, regelmäßig innezuhalten:

  • Was hat euch im Kontakt mit uns berührt?
  • Wo habt ihr euch überfordert oder hilflos gefühlt?
  • Habt ihr euch selbst als „gut genug“ erlebt? Oder seid ihr in alte Muster gerutscht?

Diese Reflexion ist keine Schwäche! Sie ist gelebte Stärke. Sie macht den Unterschied zwischen professioneller Distanz und echter, tragender Beziehung.

Auch Tagebücher, wie dieses, können helfen!

Unterstützung bei DIS beginnt mit Selbstreflexion

Unterstützung bei DIS: Verstehen ist wichtiger als Wissen

Natürlich ist es hilfreich, wenn ihr über DIS Bescheid wisst, aber Wissen allein reicht nicht. Es gibt kein Patentrezept, keine Einheitsstrategie, kein Lehrbuch, das auf jede unserer Strukturen passt. Was zählt, ist Beziehung.

Stellt Fragen, die wirklich neugierig sind. Lasst Raum für Antworten, die nicht in euer Schema passen. Und achtet darauf, ob euer ‚Verstehen wollen‘ wirklich uns gilt oder eher eurem Bedürfnis, euch kompetent zu fühlen.

Für die Praxis: 5 Beispiele für echtes Verstehen

Damit ihr euch besser orientieren könnt, hier ein paar Situationen. Mit dem Unterschied zwischen einem gut gemeinten, aber oft wenig hilfreichen Ansatz und einer Haltung, die echtes Verstehen ermöglicht:

  1. Begrifflichkeiten klären:
    • Nicht: „Also ihr habt ja Anteile – wie viele denn?“
    • Besser: „Wie beschreibt ihr eure Struktur eigentlich selbst – was fühlt sich für euch stimmig an?“
  2. Reaktionen einordnen:
    • Nicht: „Warum habt ihr denn so heftig reagiert? Das war doch gar nichts.“
    • Besser: „Es sah so aus, als hätte euch etwas plötzlich überrollt – wollt ihr mir sagen, was da bei euch passiert ist?“
  3. Tempo bestimmen:
    • Nicht: „Wir sollten das Thema jetzt endlich mal angehen.“
    • Besser: „Wie fühlt sich das Thema für euch gerade an – ist es okay, wenn wir uns dem vorsichtig nähern?“
  4. Unsicherheit benennen:
    • Nicht: „Ich weiß schon, was ihr meint.“ (ohne Rückfrage)
    • Besser: „Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich euch richtig verstanden habe – mögt ihr es nochmal in euren Worten sagen?“
  5. Verbindung ermöglichen:
    • Nicht: „Ihr könnt mir alles erzählen, ich bin stabil.“ (ohne das wirklich zu prüfen)
    • Besser: „Ich bin bereit, mit euch in Beziehung zu gehen – und wenn ich an meine Grenzen komme, sage ich euch ehrlich Bescheid.“

Diese kleinen Unterschiede machen in unserem Erleben einen riesigen Unterschied. Denn echtes Verstehen fühlt sich nicht an wie ein Blick von außen, sondern wie ein echtes Gegenüber auf Augenhöhe.

Überforderung erkennen: bei euch und bei uns

Es ist normal, dass es in der Begleitung intensiver wird. Aber wenn aus Nähe Druck entsteht, aus Impulsen Drängen oder aus Offenheit Überforderung, kippt die Beziehung. Achtet auf Signale, bei euch und bei uns.

Typische Zeichen bei uns können sein:

  • plötzliche Rückzüge oder Kontaktabbrüche
  • Ausweichverhalten, Ironie oder „Alles ist okay“-Haltungen
  • schnelle Wechsel im Erleben, plötzliche Erschöpfung

Typische Zeichen bei euch können sein:

  • das Gefühl, „alles geben zu müssen“
  • Frustration, weil „nichts vorangeht“
  • emotionale Erschöpfung oder Gereiztheit

Wenn ihr diese Signale wahrnehmt, ist das kein Scheitern, sondern eine Einladung zur Neujustierung.

Was wirklich hilft: Haltung zeigen

Eine unterstützende Haltung kann Welten bewegen. Sie zeigt sich nicht in großen Gesten, sondern in kleinen, wiederkehrenden Momenten:

  • Echtes Zuhören, ohne direkt zu interpretieren
  • Nachfragen, ohne zu bohren
  • Anerkennen, ohne zu bewerten
  • Präsenz zeigen, ohne uns zu vereinnahmen

Was genau diese Haltung ausmacht und welche Denkfehler euch unbewusst in alte Muster bringen können, das haben wir hier für euch aufgeschrieben: Welche Grundhaltung von Mitmenschen hilft – und welche nicht!

Fazit: Unterstützung bei DIS heißt nicht, alles zu wissen

Wenn ihr DIS-Menschen begleitet, seid ihr nicht automatisch im Besitz der Wahrheit. Aber ihr habt die Chance, mit uns gemeinsam Wege zu gehen, die echt sind. Wege, auf denen Sicherheit nicht aus Kontrolle entsteht, sondern aus Beziehung. Ihr müsst keine Expert:innen für unsere Struktur sein, aber bitte seid Expert:innen für eure eigene Haltung. Das ist das größte Geschenk, das ihr uns machen könnt.

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